Dieser Beitrag wurde am 11.07.2018 auf bento.de veröffentlicht.
Das Urteil im NSU-Prozess ist gefallen. Nach fünf Jahren Verhandlung wurden die Morde der Terrorzelle "Nationalsozialistischer Untergrund" als rassistisch motivierte Taten eingestuft.
Zwei der mutmaßlichen Täter können dabei nicht mehr belangt werden:Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt haben Suizid begangenen. Die RechtsterroristinBeate Zschäpe, das dritte NSU-Mitglied, wurde zu einer lebenslangenHaftstrafe verurteilt. (bento)
Die Taten des NSU gelten als diegrößte rechte Mord- und Anschlagsserie der Bundesrepublik Deutschland – und die Opfer stehen dabei viel zu selten imFokus.
Zwischen2000 und 2007sollen Mundlos und Böhnhardt achttürkisch- und einen griechischstämmigen Zuwanderergetötet haben. Als zehntes Opfer soll das Trio einedeutsche Polizistingetötet haben. Zschäpe soll ihnen dabei geholfen haben.
Hier erinnern wir an die 10Toten.
ENVER ŞIMŞEKist das erste Opfer des NSU.Der 38-Jährige wurde am 9. September 2000 vor seinem Blumenstand in Nürnberg mit acht Schüssen aus zwei verschiedenen Waffen niedergeschossen und starb zwei Tage später im Krankenhaus. Er war Vater von zweiKindern.
Die Polizei vermutete zunächst eine Familientragödie und ermittelte gegenŞimşeks Frau.Erst elf Jahre später wurde klar, dass der NSU hinter der Tat steckt:Şimşeks Foto tauchte in einemBekennervideo auf.
ABDURRAHIM ÖZÜDOĞRUwurde ebenfalls in Nürnberg getötet. Der 49-Jährige war immittelfränkischen Röthenbach an der Pegnitz als Maschinenarbeiter tätig. Später arbeitete Özüdoğru in der Schneiderei seiner Frau in der Nürnberger Innenstadt.
Am 13. Juni 2001 schossen ihm die Täter in der Schneidereizweimal in den Kopf. Dann fotografieren sie auch ihn für ihr späteres Bekennervideo. Özüdoğru hinterlässt eine Tochter.
SÜLEYMAN TAŞKÖPRÜ wurde nur 31 Jahre alt. Er war als Kind aus der Türkei nachDeutschland gekommen, ging in Hamburg zur Schule und jobbte imLebensmittelladen seines Vaters. Am 27. Juni 2001 wurde er dort erschossen.
Die Polizei vermutete Verwicklungen in denDrogenhandel, verdächtigte Familienmitglieder. Später wurden die Tatwaffen der NSU-Morde mit den Schüssen inVerbindung gebracht.
HABIL KILICist das letzte Opfer der ersten Mordserie zwischen 2000 und 2001. Er wurdeam 29. August 2001 in einem Obst- und Gemüseladen inMünchen mit zwei Schüssen getötet. Der Laden gehört eigentlich seiner Frau, die aber gerade im Urlaub war.
Die Ermittler vermuteten dieses Mal einen Zusammenhang zur kurdischen Arbeiterpartei PKK oder zur organisierten Kriminalität. Kilic wurde 38Jahre alt.
MEHMET TURGUT ist das fünfte NSU-Mordopfer. Er starb am 25. Februar 2004 durch drei Kopfschüsse vor einem Dönerimbiss in Rostock. Turgut, von Freunden und Familie "Memo" genannt, wohnte eigentlich in Hamburgund wollte am Tattag spontan als Aushilfe in dem Imbiss seines Freunds arbeiten.
Die Polizei ging jahrelang von einem Mord im "Milieu" aus, eine "Soko Bosporus" wurde eingerichtet. Die Familie berichtet, sie bekam keinerlei Unterstützung."Memo" wurde 25 Jahre alt.
ISMAIL YAŞAR wurde am 9. Juni 2005 in seinem Nürnberger Dönerimbiss erschossen.Bis zu acht Schüsse wurden auf ihn abgefeuert. Er hinterließ einen Sohn und eine Tochter und wurde 50 Jahre alt.
Nach diesem sechsten Mordfall sprach die Polizei fälschlicherweise offen davon, die bisherigen sechs Opfer könnten "in Verbindung mit türkischen Drogenhändlern aus den Niederlanden" stehen. In den Medien kam der Begriff"Döner-Morde" auf. Zeugenaussagen zu zwei Männern an allen Tatorten wurden bislang ignoriert.
THEODOROS BOULGARIDESkam 1973 aus Griechenland mit seiner Familie nach München, wo er Abitur und eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann machte. Boulgaridesarbeitete erst bei Siemens und der Deutschen Bahn, dann machteer sich mit einemSchlüsseldienst selbstständig.
Am 15. Juni 2005 wurde er in seinem Laden erschossen. Die Polizei ermittelte unter anderem in Richtung Drogendealer, Mafia und Prostitution. Boulgarideswurde 41 Jahre alt, er hinterließ Frau und zwei Kinder.
MEHMET KUBAŞİK floh mit seiner Frau und Tochter 1991nach Deutschland, weil er als alevitischer Kurde in der Türkei politisch verfolgt wurde. Er erhielt politisches Asyl.
Kubaşık arbeitete zunächst als Hilfsarbeiter, machte sich dann mit einemKiosk in Dortmund selbstständig.Dortwurde er am 4. April 2006 erschossen. Kubaşık wurde 39 Jahre alt, er hinterließ Frau und drei Kinder.
HALIT YOZGAT wurde nur zwei Tage nachKubaşık mit zwei Kopfschüssen in einem von ihm betriebenen Internetcafé getötet. Yozgat war mit 21 Jahren das jüngste NSU-Opfer.
Yozgats Vater war aus der Türkei eingewandert, er selbst wurde in Kassel geboren. Zur Tatzeit befand sich ein Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzes in dem Laden, der bis heute bestreitet, von der Tat etwas mitbekommen zu haben.
MICHÈLE KIESEWETTERist das letzte bislang bekannte Opfer des NSU. Sie wuchs inThüringen auf und arbeitete später in Heilbronn als Polizistin. Dort wurde sie am 25. April 2007während eines Einsatzes auf einem Parkplatz getötet, ihr Kollege wurde mit einen Kopfschuss lebensgefährlich verletzt, überlebte aber.
Was auf dem Parkplatz passierte, ist bis heuteungeklärt. Die Dienstwaffen beider Polizisten wurden aber später beiMundlos und Böhnhardt in Eisenach gefunden. Beide konnten nach demMord in HeilbronnmitBeate Zschäpe noch viereinhalb Jahre unerkannt im Untergrund leben.
Bis heute sind die Angehörigen der Opfer der Meinung, dass trotz der fünf Jahre NSU-Prozess noch viel unklar ist.
"Ich bin mir hundert Prozent sicher, dass es draußen noch Mittäter gibt", sagte Abdulkerim Simsek, Sohn des ersten NSU-Mordopfers Enver Şimşek, am Dienstag in München. Şimşek kritisierte scharf, dass noch immer Akten des Verfassungsschutzes geheim gehalten würden. "Da gibt es offenbar einige Sachen zu vertuschen."
Gamze Kubaşık, Tochter des DortmunderNSU-Mordopfers Mehmet Kubaşık, nannte den am Mittwoch nach fünf Jahren zu Ende gehenden Prozess "eine Enttäuschung". Von einer lückenlosenAufklärung sei der NSU-Prozess weit entfernt.Sie sagt:
Ich habe jahrelang auf Antworten gewartet und bin jetzt zutiefst enttäuscht.
Gamze Kubaşık
Worum es im Fall Beate Zschäpe geht? Der NSU-Prozess in 7 Zahlen
Mit Material von dpa und Tagesschau